Viele Wege führen zur Kunst: SlowArtDay 2018

13.04.2018

Am Samstag, 14.4.2018 ist wieder #SlowArtDay. Zahlreiche Museen bieten z.B. Führungen an, um Besucher*Innen länger und bewusster vor Kunstwerken verweilen zu lassen. Das MKK Frankfurt gibt im Blog auch Anregungen, wie man auch sonst den Besuch bewusster gestalten könnte.

In diesem Zusammenhang teilt Barbara Weber-Dellacroce ihre Überlegungen, zu einem Buch, das sie kürzlich gelesen hat.

Die Jounalistin Elena Goukassian stellte am 8. Januar 2018 auf der Online-Plattform Hyperallergic folgende Frage: „Is There a Right Way to Look at Art? Is looking at a work of art for up to fifteen minutes with no context the best way to appreciate and understand it?“ Damit bezieht sie sich auf das neue Buch des New Yorker Kunsthändlers Michael Findlay: Seeing Slowly: Looking at modern art (Prestel New York 2017).

Findlays Kernaussage findet sich wohl in diesem Satz: „My core belief is that when it comes to the moments we experience truly great works of art, no information is necessary.“ (S. 104) Angeregt zur Lektüre dieses Buches wurde ich dadurch, dass ich gerne verstehen wollte, warum Findlay beispielsweise Audioguides und Smartphones in Kunstmuseen so kategorisch ablehnt und wie sein Weg aussieht, sich Zugang zu den Kunstwerken zu verschaffen. Ganz speziell wollte ich gerne erfahren wie dies dem „durchschnittlichen Besucher“ ohne Hilfsmittel gelingen soll. Diesen „durchschnittlichen Besucher“ ohne viel Vorwissen beneidet er schließlich: „I envy the woman, man, or child, visiting the Van Gogh Museum in Amsterdam, who stands in front of this painting uneducated by the vast literature, high and low, about the artist.“ (S. 105)

Vorab gesagt: Ich empfand das Buch einerseits sehr inspirierend, andererseits aber sehr einseitig und schwarz-weiß-malerisch.

Michael Findlay beschäftigt sich in seinem Buch fast ausschließlich mit moderner und zeitgenössischer Kunst. In Kunstmuseen gelten, was den Einsatz von Vermittlungsinstrumenten angeht, sicher noch andere Regeln als in historischen, naturhistorischen, archäologischen oder anderen Museen. Aber doch erschien mir diese totale Ablehnung des Hinterfragens wert.

Von Beginn an postuliert Findlay einen sich fast ausschließenden Gegensatz von „information“ und „engagement“. Um das zu verdeutlichen, nutzt er starke Formulierungen wie „All others, from the written word to the latest app, serve only to subvert our engagemennt with art.“ (S. 97)

Wahrer Kunstgenuss besteht für ihn in einer Art kontemplativen Zwiegespräch mit dem Kunstwerk, das einen in der Sammlung anspricht. „Engagement“ und „emotion“ sind dabei zentrale Begriffe.

Findlay ist zu beneiden, dass er diesen Zustand ohne Hilfe eines Experten erreichen kann und Erfüllung darin findet. Er bringt allerdings auch ein profundes Expertenwissen mit in die Betrachtung, über die er uns freimütig informiert, fast schon damit kokettiert. Allerdings beschlich mich immer wieder das Gefühl, dass ebendiese Tatsache seine Thesen schon wieder in Frage stellen kann. Er diskutiert die völlig unvoreingenommene Kunstbetrachtung also nur theoretisch, er kann sein Wissen gar nicht ausblenden. Eine Ablehnung von allen Vermittlungstools, analog wie digital, fällt ihm also sehr leicht.

Natürlich hat er bis zu einem gewissen Punkt recht, wenn er die Ablenkung durch Vermittlungstools beklagt. Viele Besucher konzentrieren sich nicht in erster Linie auf die Exponate, sondern auf das „Drumherum“. Ob sie die Kunst wirklich „sehen“, ist wohl in vielen Fällen fraglich. Meines Erachtens ist es aber nicht der richtige Weg, Vermittlungstools zu verteufeln. Über die Art ihres Einsatzes kann gesprochen werden, aber nicht über die Tatsache ob sie nötig sind. Seiner Argumentationslinie folgend ist vor allem auch die digitale Kulturvermittlung abzulehnen. So nennt er beispielsweise die „Museum Selfie Week“ als seltsamen Auswuchs der Kulturvermittlung (S. 146)

Gibt es überhaupt die eine richtige Art der Kunstbetrachtung? Die Antwort liegt auf der Hand. Natürlich nicht! Die Museumsbesucher sind so verschieden in ihren Interessen, Voraussetzungen und Bedürfnissen, dass es kein Allheilmittel geben kann.

Manche Besucher sind mit Findlays Methode sicher bestens bedient. Diese Museumsbesucher benötigen weder einen Kurator noch Vermittlungsangebote. Die Diskussion um die Documenta 14 und die Venedig-Biennale gibt davon beredt Zeugnis (siehe dazu exemplarisch den Artikel von Daniel Hornuff in der nzz). Auch das Museum Kolumba in Köln verfolgt ein Ausstellungskonzept ohne Objektschilder, Texte und Audioguides, lediglich ein Flyer steht zur Verfügung. Allerdings ist die Rolle des Kurators in diesem Museum kaum zu überschätzen. Einen guten Überblick bietet zum Beispiel die 3sat-Sendung Museumscheck aus dem Jahr 2014. Ähnliches versucht die aktuelle Ausstellung „Rudolf Bott. Enduro“ in der Villa Stuck in München, die ohne Wandtexte und Objektschilder, sondern nur mit Flyern arbeitet.

Ein absolut gegensätzliches Konzept vertritt beispielsweise das Van Abbemuseum in Eindhoven, NL. Hier werden Kunstwerke so explizit kontextualisiert und inszeniert, dass eine reine Kunstbetrachtung kaum mehr möglich ist.

Ich würde aber vermuten, dass Findlays Zugang für die Mehrzahl der Besucher mit Schwierigkeiten behaftet sein kann. Auch wenn eines der Ziele von Findlays Methode darin bestehen soll, den Besucher ohne Vorwissen von der Angst zu befreien, sich als unwissend oder ungebildet zu outen, glaube ich nicht daran, dass die Mehrzahl der Besucher dies so empfinden wird. Bildwissenschaftler erlernen im Studium nicht nur Fakten und Hintergrundwissen zu Künstlern, Kunstwerken und Epochen, also den Kontext in dem die Kunstwerke entstanden sind. Viel wichtiger ist meines Erachtens die Tatsache, dass wir dort das Handwerkszeug erhielten, um uns den Kunstwerken anzunähern. Wissenschaftliche Methoden der Bildbetrachtung und -beschreibung sowie Mittel und Wege, die Bedeutung zu erschließen und Kunstwerke einzuordnen. Das ist sicher nicht der einzige Weg, um sich Kunst zu nähern, aber wir haben dieses Rüstzeug, können es auch nicht mehr ablegen, und können uns so quasi angstfrei auch einen ersten Zugang zu uns unbekannten Kunstwerken schaffen. Jeder kennt das von sich. Themengebieten, die einem fremd sind, meidet man in der Regel eher oder nähert sich nur zögerlich und mit Vorbehalten. Der Kulturvermittlung, und in der heutigen Zeit vor allem auch der digitalen Kulturvermittlung, kommt die Aufgabe der Brückenbildung zu. Hierbei ist nicht nur das Versprechen der Informationsvermittlung gemeint, sondern auch Entertainment und partizipative Zugänge. Aber auch diesen Methoden steht Findlay sehr kritisch gegenüber. „… culture has to be ‚entertaining‘ in order to be marketed to a broad audience, results in content providers (musems officials, publishers, and others) packaging modern art as entertainment snack food.“ (S. 108) Warum Kultur nicht auch einfach Spaß machen darf, erschließt sich mir nicht.

Audioguides, Apps und andere digitale Tools können, richtig eingesetzt, all dies anbieten, für die Besucher, die dies wünschen und sich dadurch gut begleitet fühlen. Wer das nicht will, kann die Angebote ja ignorieren. Ein Kunstwerk völlig ohne Kontext zu betrachten, halte ich weder für sinnvoll noch für zulässig. Um Elena Goukassian in Hyperallergic zu zitieren: „Art has never existed in a vacuum, and contemporary works especially often require at least a little bit of background information.“ Ein Bild nur unter ästhetischen und emotionalen Gesichtspunkten zu rezipieren, leugnet einen wichtigen Teil des Kunstwerks. Erst in seinem Kontext gesehen kann das Kunstwerk nicht nur erfahren, sondern auch verstanden werden. Selbst zahlreiche Künstler der monochromen Malerei verfassten Manifeste, z.B. Barnett Newman oder Lucio Fontana, die ihre Absichtenerst verständlich machen. Gerade aber bei diesen Kustwerken könnte man aber tatsächlich einmal Findlays Ansatz anwenden: erst die Gemälde quasi im white cube betrachten und sich dann nachträglich informieren. Das scheint mir aber wirklich nur für eine geringe Anzahl von Kunstwerken und Oeuvres zuzutreffen.

Am Ende der Lektüre bin ich zwiegespalten. Das Buch hat mich durchaus dazu angeregt, mich einmal wieder bewusster mit Kunst auseinanderzusetzen und der Emotion dabei mehr Raum zu geben. Das ist sicher eine wichtige Aufforderung, der man am #SlowArtDay mal wieder nachkommen könnte. Auf der anderen Seite bin ich mehr als skeptisch, ob das Konzept völlig ohne Anleitung so umsetzbar ist. Ohne Vermittlung wird es einer breiten Masse sicher nicht gelingen, so Zugang zu erlangen. Warum aber nicht einmal versuchen, Findlays fiktives Kunstgespräch als Anleitung zur Kunstbetrachtung digital aufbereiten? („Achieving contact“ S.149-158)? Seine guten Ideen müssten sich doch mit ein bisschen Fantasie durchaus mit der (digitalen) Kulturvermittlung versöhnen lassen. Das gilt auch für die Möglichkeiten digitaler Bildreproduktionen z.B. in Online-Sammlungen. Sie dienen ja gar nicht eigentlich dem Kunstgenuss, diese Reproduktionen wollen ja gar nicht das Original ersetzen. Oder die Möglichkeit des Gesprächs unter Freunden über Kunstwerke, angeregt über Museum Selfies oder Instagrambilder von Kunstwerken. Es ist alles eine Frage der Gewichtung. Kunstgenuss geht wohl wirklich nur vor dem Original. Aber das ist nun wirklich lange nicht alles, was Kunstmuseen und Kulturvermittlung bieten können.

Abschließend ist festzuhalten, dass Findlay eine alte Diskussion neu beleuchtet, ohne sie jedoch direkt zu zitieren. Die Kontroversen der 60er und 70er Jahre um die white cubes und black boxes werden allenfalls am Rande angedeutet, auch wird das Für und Wider dieser Positionen nicht rezipiert. Was Findlay meines Erachtens auch völlig außen vor lässt, ist die Tatsache, dass sich nicht nur die Museumswelt sondern vor allem die Gesellschaft in einem radikalen Umbruch befindet. Die bedeutet nicht nur eine Veränderung der Mediennutzung, sondern auch eine Fragmentierung der Besuchergruppen mit unterschiedlicher Vorbildung und kultureller Prägung, ein viel stärker partizipativer Ansatz, der sich in Kommentierung und Kommunikation in sozialen Medien äußern kann. Viele weitere Aspekte wären hier anzuführen. Seine postulierte Rezeptionsmethode ist vielleicht praktikabel für einen kleinen Ausschnitt der Gesellschaft, aber es gibt nicht nur DIE eine allgemeingültige Herangehensweise.

Auf jeden Fall wünsche ich uns allen, dass wir uns (nicht nur) am #SlowArtDay 2018 auch einmal nur so zum Genuss auf Kunst einlassen können und trotzdem die Chancen (digitaler) Kunstvermittlung wahrnehmen und annehmen.

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